Der Kleinkünstler, die Schneiderin, die Kosmetikerin: Diese Köpfe trotzen der Corona-Krise Die Selbständigen trifft die Pandemie-Prävention hart: Sie können keine Kurzarbeit beantragen und haben oft nur geringe finanzielle Reserven. Elf Zürcherinnen und Zürcher erzählen, wie sie ihr Geschäft über die nächsten Monate hinwegretten wollen.

Die Selbständigen trifft die Pandemie-Prävention hart: Sie können keine Kurzarbeit beantragen und haben oft nur geringe finanzielle Reserven. Elf Zürcherinnen und Zürcher erzählen, wie sie ihr Geschäft über die nächsten Monate hinwegretten wollen.

Vermeintlich idyllische Corona-Auszeit: Für Selbständige bedeutet sie Stress und existenzielle Ungewissheit. Im Bild ein Vater mit Laptop und Kinderwagen am Lac Léman in Lausanne.
Laurent Gillieron / Keystone

Die wirtschaftliche Unsicherheit ist gross, seit der Bundesrat den Notstand ausgerufen und das öffentliche Leben eingefroren hat. Während Firmen für ihre Angestellten immerhin Kurzarbeit beantragen können, waren Selbständige und Inhaber von Kleinstunternehmen in den letzten Tagen ganz auf sich allein gestellt: Wer zahlt die Miete und die Rechnungen, wenn die Kunden plötzlich alle Aufträge stornieren, wenn schlicht kein Geld mehr hereinkommt?

Die NZZ hat elf selbständige Zürcher Unternehmerinnen und Unternehmer gebeten, ihre persönlichen wirtschaftlichen Herausforderungen zu schildern. Gesundheit, Kultur, Gewerbe, Gastronomie: Dieses Kaleidoskop der Krise zeigt, dass der Zusammenbruch des öffentlichen Lebens ganz unterschiedliche Branchen ins Mark trifft. Die Hauptsorge gilt bei allen der Liquidität: Wie überbrücke ich die Quarantäne, ohne bankrottzugehen? Wie lange halte ich durch? Viele legen grosse Flexibilität und Kreativität an den Tag, um sich mit temporären Ersatzjobs etwas Luft zu verschaffen.

Für Selbständigerwerbende gilt zudem mehr noch als für Angestellte, dass sich die persönliche und die berufliche Lebenssituation kaum voneinander trennen lassen. Freunde und Familie spielen für sie eine noch wichtigere Rolle bei der Bewältigung der Krise.

Die vom Kanton Zürich angekündigte Hilfe für die Selbständigen – 15 Millionen Franken aus der ZKB-Jubiläumsdividende – ist sicherlich willkommen, ebenso die bereits angekündigte Unterstützung durch den Bund und allenfalls die Gemeinden.

Die Anzugschneiderin: «Als hätte man mir die Hände abgeschnitten»

Eva Bräutigam, 36 Jahre alt, Inhaberin des gleichnamigen Schneidergeschäfts, Zürich

Eva Bräutigam.

Eva Bräutigam.

PD

«Ich mache Kleider auf Mass für Damen und Herren. Ich brauche den direkten Kundenkontakt, um Mass zu nehmen, und kann nicht einfach auf einen Online-Shop umstellen. Ich bin eine der wenigen in der Schweiz, die Anzüge nach altem englischem Handwerk, in der Fachwelt Bespoke genannt, machen.

Viele ‹kleine› Selbständige machen ihre Arbeit aus Passion. Für mich fühlte sich die Ladenschliessung an, als hätte man mir mein Atelier weggenommen – ja als hätte man mir die Hände abgeschnitten.

Ich habe am Montagabend meine letzten Kunden im Laden gehabt. Noch lebe ich von den bestehenden Aufträgen. Zum Glück verbindet mich mit den meisten Kunden eine Freundschaft. Ich erhalte von ihnen viele aufmunternde Zuschriften. Von ihnen habe ich die Masse, und sie können weiter bestellen, aber das geht nur bis zu einem gewissen Grad. Neue Kunden kann ich nicht gewinnen, mein Geschäft an der Europaallee ist zu.

Meine einzige Mitarbeiterin habe ich auf Kurzarbeit gesetzt. Bei den SBB habe ich ein Gesuch auf Mieterlass gestellt. Klar ist, dass die Mietzinszahlung aufgeschoben wird. Privat führe ich ein einfaches Leben, anders ging es auch bisher nicht in diesem Beruf. Das rettet mich jetzt.

Wie es weitergeht, weiss ich nicht. Was ist, wenn niemand mehr arbeitet und keine Feste mehr stattfinden? Ich vertraue auf meinen Kampfgeist. Hätte ich den nicht, gebe es mein Geschäft nicht schon seit zehn Jahren.»

Der Kleinkünstler: «Unsere Saison dauert nur bis Ende Mai»

Michel Gammenthaler, Kleinkünstler, 47 Jahre alt, Uster

«So kurz habe ich noch kein Programm gespielt. Die Premiere von ‹BLöFF› am letzten Donnerstag war gleichzeitig die Dernière –zumindest die vorläufige. Am Freitagnachmittag musste ich meine Requisiten im Casinotheater Winterthur bereits wieder zusammenräumen.

Für Spaziergänge mit dem Hund hat Michel Gammenthaler viel Zeit: Ihm wurden bereits Dutzende Auftritte abgesagt.

Für Spaziergänge mit dem Hund hat Michel Gammenthaler viel Zeit: Ihm wurden bereits Dutzende Auftritte abgesagt.

Christoph Ruckstuhl / NZZ

Die Krise hat allerdings schon vor Wochen begonnen. Auftritte an Aktionärsversammlungen, Firmenanlässen und anderen geschlossenen Veranstaltungen wurden vorsorglich abgesagt. Dann sanken die erlaubten Zuschauerzahlen von 1000 auf 300 und schliesslich auf 100. Die Kleinkunst- und Comedy-Szene passte sich an jede neue Weisung an, so im Stil von: ‹Jetzt schwimmen wir halt mit nur einem Flügeli.> Und jetzt ist fertig.

Meine Branche ist stark getroffen vom grossen Stillstand. Unsere Saison dauert nämlich nur bis Ende Mai. Mit diesen Einnahmen müssen wir die Sommerzeit überbrücken. Ich habe Dutzende von Auftritten verloren, und eine Entschädigung für Ausfälle wegen höherer Gewalt steht in keinem Vertrag.

Ich hoffe sehr, dass die Kleinkunstszene in die Kurzarbeit-Regelung einbezogen wird. Klar werden manche Auftritte auf später verschoben, aber verschoben ist so gut wie abgesagt. Diese Termine fallen nämlich auf jene Monate, in denen wir ohnehin auftreten können. Sie verdrängen einfach die noch nicht gebuchten Auftritte.»

Vor allem aber droht auch die Gefahr, dass jene kleinen Bühnen hops gehen, die schon bisher von der Hand in den Mund leben mussten. Bei denen gibt’s dann überhaupt nichts mehr zum Verschieben und auch keine neuen Auftritte mehr.

Der Klub-Dekorateur: «Ich will nicht noch einer mehr sein, der um Unterstützung bittet»

Boris Hilton, Klub-Deko-Artist, 36 Jahre, Zürich

«Ich dekoriere vor allem für Klubs und Festivals, meine Firma Discosmetic lief gut. Doch als die neuen Vorschriften des Bundesrats bekanntwurden, hat mein Telefon im 10-Minuten-Takt geklingelt: 90 Prozent meiner Aufträge sind abgesagt worden. Auch ein grosses Engagement für ein Festival in Arosa, wo ich zehn Tage gearbeitet hätte, ist ins Wasser gefallen.

Ich erhalte derzeit kleine Aufträge von Kollegen, aus Solidarität. Das hilft etwas, bei 25 Franken pro Stunde reicht es aber nicht. Ich kann mich mit meinen kleinen Reserven nicht lange über Wasser halten und verkaufe daher zurzeit viele Gegenstände aus meinem Inventar.

Meine Freundin ist bei meiner GmbH angestellt, für sie habe ich Kurzarbeit beantragt; für mich ist das nicht möglich. Viele Bekannte schicken mir derzeit Informationen oder raten mir, ein Crowdfunding zu starten. Aber es geht ja auch den Klubs, den Grösseren nicht gut. Ich will nicht noch einer mehr sein, der um Unterstützung bittet.

Die Fixkosten sind mein grösstes Problem; den Vermieter meines Ateliers habe ich noch nicht erreicht. Und selbst wenn ich Aufträge hätte: Die Baumärkte sind geschlossen, ich komme unter Umständen gar nicht an Material heran.

Die Spätfolgen? Mir scheint, auch wenn die Kunden durch die Krise kommen, werden sie ihren Aufwand vorerst reduzieren. Festivals wie Frauenfeld oder St. Gallen, wo ich immer meine Aufträge hatte, haben dann vielleicht kein Budget mehr für mich.

Ich hoffe auf finanzielle Hilfe, stelle mich aber darauf ein, dass ich mich selbst über Wasser halten muss.»

Der IT-Unternehmer: «Jetzt dürfen nicht alle sparen und entlassen»

Marc Bourgeois, 48 Jahre alt, Inhaber der Firma Endurit und FDP-Kantonsrat

Marc Bourgeois.

Marc Bourgeois.

NZZ

«Wir entwickeln Web-Applikationen und Internet-Lösungen. Die Firma gehört mir und hat sieben Mitarbeitende. Bis im Januar war die Auftragslage normal. Im Februar haben die Kunden angefangen, Projekte zu verschieben. Die einen wegen der Unsicherheit, die anderen, weil sie keine Zeit haben: Wir haben viele Kunden im Gesundheitsbereich, die jetzt andere Prioritäten haben.

Immerhin läuft der Betriebsbereich gut. Viele Kunden brauchen von uns Home-Office-Lösungen und einfache Online-Shops. Aber der Projektbereich fällt weg. Wenn ein Unternehmer nur 50 Prozent des Umsatzes macht, kann er entweder für die Löhne aufkommen oder für den ganzen Rest wie Zulieferer, Miete, Sozialabgaben und Mehrwertsteuern. Wenn Zulieferer nicht mehr bezahlt werden, droht eine Kettenreaktion. Ich habe einen Leitfaden für Unternehmer ausgearbeitet, wie sich die Liquidität erhalten lässt ohne massive Sparmassnahmen und Entlassungen.

Der Staat könnte uns unkompliziert helfen, indem er uns die Mehrwertsteuer- und Sozialabgaben stunden würde. Ich persönlich kann die Situation in den kommenden Monaten gut stemmen. Wer das nicht kann, etwa weil er grösser ist als wir, macht in wenigen Monaten zu.

Sorgen macht mir, dass in den Unternehmen in den nächsten Wochen fatale Entscheide fallen könnten. Wer die nächsten Monate übersteht, wird keinen Franken Reserve mehr haben. Wenn dann das Geschäft nicht wieder anläuft, werden die Konkurse auch stabile Unternehmen treffen. Deshalb dürfen jetzt nicht alle sparen und entlassen. Dazu brauchen sie sofort Liquidität und Vertrauen.»

Die Therapeutin: «Das kam doch recht plötzlich»

Claudia Zurbuchen, Shiatsu-Therapeutin, 42 Jahre, Zürich

«Ich musste am Montag von einem Tag auf den anderen meine Praxis schliessen und allen meinen Klienten absagen. Das kam doch recht plötzlich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten mir erst zwei Klienten von sich aus abgesagt.

Die Ungewissheit ist gross, bei mir und allen in meiner Branche. Wir wissen ja nicht, wie lange der Ausfall andauern wird. Ich muss die Miete für meine Praxis zahlen, aber natürlich auch unsere privaten Kosten – ich habe sechs Kinder. Ich rechne schon damit, dass vom Staat Gelder für Einzelfirmen freigesetzt werden.

Die Shiatsu- und Körpertherapeutin Claudia Zurbuchen bewirbt sich wieder als Pflegefachfrau, um die Quarantänezeit zu überbrücken.

Die Shiatsu- und Körpertherapeutin Claudia Zurbuchen bewirbt sich wieder als Pflegefachfrau, um die Quarantänezeit zu überbrücken.

Christoph Ruckstuhl / NZZ

Mein Partner arbeitet als Landschaftsgärtner, ebenfalls selbständig, das ist gegenwärtig ein doppelter Nachteil für uns. Im Moment kann er noch arbeiten. Ich selbst bin ausgebildete Pflegefachfrau HF und kann somit auch im Spital arbeiten. Ich habe bereits zwei Bewerbungen bei Temporärbüros geschrieben. Beim Triemli suchen sie zurzeit Personal für die Notfall- und Covid-19-Fälle. Es wäre im Moment wohl relativ einfach, wieder einzusteigen. Viele in meiner Branche haben einen anderen Erstberuf gelernt und machen sich jetzt diese Überlegungen.

Aber da bleibt die Frage der Kinderbetreuung. Da ich als Pflegefachfrau in einem systemrelevanten Beruf arbeiten würde, hätten wir wohl Anrecht auf einen Platz. Aber die Kindertagesstätten stehen selbst ja auch vor einem Problem: Viele behalten ihre Kinder jetzt zu Hause, dabei ist die Kita natürlich ebenfalls auf Einnahmen angewiesen. Es ist eine schwierige Situation: Es sitzen alle im selben Boot, sind solidarisch untereinander, aber doch gezwungen, zu schauen, dass die eigene Rechnung aufgeht.»

Der Street-Food-Veranstalter: «Ich habe täglich mit verzweifelten Leuten zu tun»

Oliver Oetjen, Caterer und Gründer Streetfooddays, 47 Jahre, Bülach

«Der Notstand trifft uns stark. Wir mussten viele Food-Festivals absagen. Am schwersten wiegt die Ungewissheit – wir wissen nicht, wie lange es so weitergeht. Wir haben den Betrieb bis Ende April praktisch auf null heruntergefahren und haben Kurzarbeit für unsere zwei festangestellten Mitarbeiter beantragt. Für uns, die zwei Inhaber, geht das nicht.

Auch für die Food-Anbieter geht es derzeit nicht mehr ums Amortisieren ihrer Investitionen, sondern ums Überleben: Einige sind mit ihren Trucks draussen, um doch noch etwas zu verkaufen, andere können das nicht. Ich habe täglich mit verzweifelten Leuten zu tun, die bis jetzt keine Entschädigung erhalten.

Mit unserem zweiten Standbein können wir auch nichts kompensieren, im Catering sind bis im Juni ebenfalls alle Aufträge storniert worden. Für unsere Fixkosten, Büro und Lager, suchen wir nach Lösungen. Viele Event-Locations sind auch bereits gebucht, wir spüren aber ihrerseits ein grosses Entgegenkommen. Auch die BVG-Beiträge und dergleichen können wir hinausschieben, da kommt uns der Staat sehr entgegen.

Wir müssen vor allem unsere Liquidität aufrechterhalten, denn vor Juni oder Juli wird es keine grossen Veranstaltungen geben. Und selbst dann ist unklar, wie die Leute reagieren werden: Die Menschen sind Gewohnheitstiere, sie brauchen nach der Aufhebung der Massnahmen Zeit, um sich anzupassen. Besuchen sie dann sofort unsere Festivals?

Wir sind ein gesundes Unternehmen. Letztes Jahr gab es wetterbedingt eine eher schlechte Saison, so hofften viele auf 2020. Und jetzt hätten wir 20 Grad draussen, und die Festivals hätten gerade gestartet.

Wir brauchen keine vollständige Kompensation der Ausfälle, sondern einfach Hilfe, damit wir unsere eigenen Mieten und Krankenkassenprämien zahlen können. Mir ist aber bewusst, dass wir Geduld haben müssen. Ich habe keine Angst, dass wir hängengelassen werden.»

Die Musikerin: «Ich bin auf Jobsuche»

Tanja Dankner, Soulsängerin, 45 Jahre alt, Zollikerberg

«Seit 25 Jahren bin ich Soulsängerin, Musikerin und Songwriterin. Ich bin alleinerziehendes Mami mit zwei Kindern. Ich lebe von der Musik. Ich mache Vocal Coaching bei fast allen Musik-Formaten im TV, von ESC zu den grössten Schweizer Talenten. Durchschnittlich zweimal pro Woche habe ich Corporate Events: Eröffnungen, Modeshows, Firmenanlässe. Meine Agenda ist voller Konzertdaten bis Ende Jahr. Natürlich wurde alles abgesagt. Die laufende Tournee mit Stars on Stage (‹Das Zelt›), wo ich als Musical-Direktorin und Sängerin dabei bin, wurde abgebrochen.

Tanja Dankner.

Tanja Dankner.

PD

Meinen Kindern habe ich gesagt, dass wir uns enorm einschränken müssten. Ich bin auf Jobsuche. Über Face-Time betreue ich ein paar Bands als Vocal Coach, aber das ist minim. Gemeinsam mit Pepe Lienhard wollte ich eine Weihnachtstour machen und war mit den Sponsoren im Gespräch. Aber man kann derzeit keine Lokale buchen.

Ich bin nicht in den Top Ten der Charts, aber eine gestandene Musikerin. Als Künstlerin musst du dich ständig neu erfinden, um zu überleben. Mit der Zeit macht das einen müde, aber man darf nicht ermüden. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. Dass sie nicht spielen dürfen, macht ihnen enorm zu schaffen.

Ich würde mich schämen, ein Crowd-Funding-Projekt für mich alleine zu starten. Aber ich stelle ein Portal mit auf die Beine, wo Künstler ab nächster Woche Live-Streaming anbieten: Musiker, aber auch DJ, die von zu Hause aus auflegen. Wir wollen Geld sammeln, das gerecht an die Musiker verteilt wird. Und etwas tun, anstatt nur zu Hause zu hocken.»

Die Dentalhygienikerin: «Das macht mich echt kirre»

Ines Lorenzo, 45 Jahre, selbständige Dentalhygienikerin

«Meine Praxis ist derzeit geschlossen. Zahnarztpraxen dürfen zwar weiterhin gewisse Notfallbehandlungen machen, aber die Dentalhygiene soll nicht dazugehören. Für mich bleibt aber vieles unklar: Wer definiert denn, wie stark jemand Schmerzen am Zahnfleisch hat? Wer kann genau sagen, ab wann sich der Knochen zurückbildet und wann der Kundin ein Verlust ihres Zahns droht?

Ines Lorenzo.

Ines Lorenzo.

PD

Zwei Patienten mit Schmerzen haben sich bereits bei mir gemeldet und um einen Termin gebeten. Sonst bin ich in solchen Situationen flexibel. Jetzt musste ich ihnen absagen.

Ich arbeite Teilzeit auch in einer Zahnarztpraxis. Morgen habe ich dort einige Stunden zu tun, ich bin aber auf Kurzarbeit. Für die voll angestellten Dentalhygienikerinnen ist die Lage etwas entspannter, aber für uns Selbständige gibt es noch keine Lösung. Auf die Sozialhilfe zurückzugreifen, geht für mich nicht, da ich ja ein kleines Einkommen habe. Doch es bleiben die Lebenshaltungskosten für meine Tochter und mich, dazu die Miete für meine Praxis: Vom Vermieter habe ich nichts gehört, ich muss sicher nachfragen. Diese Situation macht mich echt kirre.

Die Quarantäne gilt ja mindestens bis Mitte April – bis die Kunden wieder zu mir in die Praxis kommen, dauert es sicher nochmals einen Monat länger. Ich habe kein Vermögen auf der Seite, um Monate davon zu zehren, und muss wohl meine Familie um Geld bitten, um die Situation zu überbrücken. Abgesehen davon lasse ich alles auf mich zukommen und nehme Schritt für Schritt.»

Die Kosmetikerin: «Eigentlich wollte ich das Geschäft übergeben»

Susanne Dinten, 64 Jahre alt, Inhaberin von Ladies Style Cosmetics, Zürich Altstetten

Susanne Dinten

Susanne Dinten

PD

«Ich führe mein Kosmetikstudio seit 40 Jahren und ich bin mega stolz, dass ich in diesen Jahren diverse Wirtschaftskrisen in dieser Branche bewältigen konnte. Denn wir sind enorm anfällig, weil unsere Dienstleistungen in den Augen mancher ein Luxus sind. Was jetzt passiert, schockiert und trifft mich zutiefst.

Wir sind keine Schminktanten, sondern widmen uns der Pflege und den Hautproblemen. Der Beruf ist in den letzten Jahren immer medizinischer geworden. Dadurch arbeite ich mit verschiedenen Ärzten zusammen. Auf diesem Weg hoffe ich, dann wieder einmal auf die Sprünge zu kommen. Aber die Frage ist, wie lange es dauert, bis die Schweiz wieder clean ist.

Mit unserer Arbeit sind wir sehr nahe an den Kundinnen, und viele von ihnen haben Ängste, was ich gut verstehen kann. Wir arbeiten immer mit Mundschutz und legen grossen Wert auf Sterilisation. Die Terminreservationen haben schon vor den bundesrätlichen Entscheiden deutlich abgenommen, und es erfolgten immer wieder Terminabsagen.

Ich beschäftige drei Mitarbeiterinnen und ab August eine Lehrtochter. Bereits habe ich Kurzarbeit beantragt. Miete und Versicherungen müssen von mir geleistet werden, Einkünfte bleiben gänzlich aus. Zum Glück habe ich viele Stammkundinnen.

Eigentlich wollte ich das Geschäft diesen Sommer meiner Mitarbeiterin übergeben. Davon sehe ich einstweilen ab. Ich möchte einer jungen Frau diese Bürde nicht auf die Schultern laden. Wir werden diese Situation gemeinsam durchstehen und die Übergabe später vollziehen. Vielleicht sieht es nächsten Januar besser aus.»

Der Gastronom: «Schwierig war, dass der Entscheid so kurzfristig fiel»

Tenzin Tibatsang, 29 Jahre alt, Inhaber von «Tenz Momo», Zürich

«Es trifft ja alle sehr hart, und man kann sich nichts anderes sagen als: Kopf hoch. Der Zeitpunkt ist für uns aber äusserst ungünstig. Im Mai wollten wir in Bern ein neues Lokal eröffnen. Wir sind in den letzten zwei Jahren schnell gewachsen und haben unsere Mittel immer gleich wieder investiert. Inzwischen haben wir über vierzig Angestellte. Die wollen wir alle behalten.

Aber natürlich haben wir enorme Fixkosten, die trotz Kurzarbeit ins Gewicht fallen, zumal das Geld erst mit Verzögerung bei den Unternehmen eintrifft. Es ist nun Kreativität gefragt und Durchhaltewillen. Wir setzen beispielsweise auf Take-away und Delivery. Wie gut das funktioniert, werden wir sehen, aber auch im besten Fall werden wir nur einen kleinen Teil unseres normalen Umsatzes erzielen.

Ich habe von verschiedenen Kollegen mit Restaurants gehört, die schon vor dem Bundesratsentscheid weniger Gäste hatten, weil die Leute die Lokale offenbar gemieden haben. Das war bei uns überhaupt nicht der Fall. Unsere Restaurants waren gut besucht, es traf uns unvermittelt.

Ich kann die Massnahmen des Bundesrates gut nachvollziehen. Schwierig war für uns als Kleinunternehmen, dass der Entscheid am Montag so kurzfristig fiel. Am Montag wurden uns frische Zutaten angeliefert. Vieles konnten wir zum Glück noch verarbeiten oder unseren Mitarbeitern nach Hause geben. Vielen Betrieben geht es momentan wie uns, und wir spüren untereinander und von vielen weiteren Personen eine grosse Solidarität.»

Der Kino-Betreiber: «Diese Krise brachte uns ein Déjà-vu»

Frank Braun, 54 Jahre alt, Geschäftsführer Neugass Kino AG, Zürich

«Diese Krise brachte uns zunächst ein Déjà-vu, brannte doch unser Kino Houdini 2015 vollständig aus. Bald wurde uns aber klar, dass das ein grösserer Flächenbrand wird. Diesen Sonntag entschieden wir, noch bevor die Kitag- und die Pathé-Gruppe ihre Entscheide kommunizierten, unsere drei Kinos freiwillig ganz zu schliessen.

Frank Braun.

Frank Braun.

NZZ

Was die Corona-Krise betriebswirtschaftlich für unsere Branche bedeuten wird, kann noch niemand abschätzen. Entscheidend ist nebst der Dauer der Schliessung, wie weit im Voraus die Kinos den Termin der Wiedereröffnung kennen – und dass dieser landesweit möglichst gleichzeitig angesetzt wird. Das Programm wird dann sicher einen Mix aus Neuheiten und bereits vorher gelaufenen Filmen bilden. Bereits frühzeitig in den Herbst verschoben worden ist ja der Kinostart grösserer Produktionen, etwa des neuen Bond-Films.

Nun haben diverse Verleiher begonnen, Filme am Tag ihres Kinostarts auch für Internetplattformen freizugeben. Das ist ein Tabubruch, der unter den jetzigen Umständen verständlich ist. Würde es zur Regel, wäre dies allerdings fatal.

Seit 2019 haben wir ein eigenes Streaming-Angebot; doch das war am Anfang nicht als neues Business-Modell gedacht, nur als Ergänzung zur Kinoauswertung, deren Wertschöpfung viel höher ist. Auf den Websites unserer Kinos bieten wir in Kooperation mit dem Filmportal Cinefile kostenpflichtig Werke mit einem Bezug zu unserem laufenden Kinoprogramm. Soeben haben wir Andrea Stakas ‹Mare› aufgeschaltet, dessen Kinostart letzte Woche war. Ob wir ihn nachher nochmals auf die Leinwand bringen können? Ich hoffe es!»

Dieser Artikel ist am 28. Februar 2020 auf www.nzz.ch erschienen.

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